Risikobasierte Prozessvalidierung erfordert Methodeneinsatz auf einem neuen Level

Risikobasierte Prozessvalidierung erfordert Methodeneinsatz auf einem neuen Level

Täglich werden im operativen Geschäft Probleme diskutiert, die auf die Prozessvalidierung zurückzuführen sind. Das sind beispielsweise wiederkehrende Abweichungen und dadurch verursachte Aufwände, das Warten auf Freigaben und dadurch verzögerte Auslieferungen, Scrap-Rates bzw. schlechte Ausbeuten und dadurch verursachte Verluste.

In diesem Beitrag geht es um eine der Hauptursachen und insbesondere darum,

  • weshalb es den meisten Pharma- und Medizintechnik-Unternehmen nach wie vor nicht gut genug gelingt, das große Potenzial von risikobasierten Prozessvalidierungen für sichere Qualität und Wirtschaftlichkeit wirklich zu nutzen,
  • einige Ansätze zur Diskussion zu stellen, die hier methodisch Abhilfeschaffen können und sich an den Richtlinien orientieren (siehe unten).

Nach wie vor werden die wirklich kritischen Parameter der Produktqualität zu wenig in den Fokus genommen und Risiken werden übersehen. Vieles wird sozusagen unnötig validiert, da es nach Risikoaspekten eigentlich gar nicht validiert werden muss. Zum Teil wird zwar, wie behördlich gefordert „formell risikobasiert“ validiert, gleichzeitig aber auch auf die traditionelle Art. Selbstredend, dass Möglichkeiten für wirtschaftliche Vorteile nicht im Entferntesten ausgeschöpft werden! 

Welchen Unterschied macht „risikobasiert“?:

Die klassische Prozessvalidierung basiert darauf, zunächst die Anforderungen an den Prozess festzustellen und dann zu beweisen, dass der Prozess in allen Teilen die kritischen und auch unkritischen Anforderungen erfüllt.

Risikobasiert stattdessen bedeutet, dass systematisch alle Risiken zuerst erkannt und dann ausgeschlossen werden. Und eben dadurch liefert der Prozess ein einwandfreies Produkt.

Es liegt auf der Hand, dass man viel Aufwand sparen kann, wenn man nur das validiert, was wirklich nötig ist. Es leuchtet auch ein, dass Prozesse sicherer laufen, wenn viel Fokus auf mögliche Risiken gerichtet wird. Bei der risikobasierten Validierung versucht man, durch den analytischen Ansatz von vornherein möglichst viele der möglichen Risiken effektiv auszuschalten. Von der Systematik her führt die risikobasierte Prozessvalidierung so zu sicherer Qualität mit weniger Aufwand.

Es klingt, als ginge es um eine harmlose einfache Umstellung einer Vorgehensweise.

De facto erfordert risikobasierte Prozessvalidierung einen anderen Arbeitsstil!

Bei der klassischen Prozessvalidierung klopfen Experten jeden Schritt des Prozesses ab und validieren vor allem auf Basis ihrer fachlichen Expertise.

Bei der risikobasierten Prozessvalidierung muss zur Expertise Überblick über den gesamten Beschaffungsprozess bis zur Auslieferung hinzukommen, von der Dossier-Erstellung über den Einkauf pharmazeutischer Hilfsstoffe, über den Wareneingang, Probenzug und Produktion. Auch Risiken sind zu berücksichtigen, auf die man schon während der Prozessentwicklung aufmerksam wurde. Darum ist es sinnvoll, dass durch die Prozessvalidierung zielorientiert Teamarbeit getriggert wird. Der Experte allein wird in seinem stillen Elfenbeinturm-Kämmerchen unmöglich alle relevanten Risiken identifizieren können.

Wirklich zu wenig Personalkapazität?

Zur Einbeziehung des benötigten Teams scheinen die Kapazitäten oft zu fehlen. Häufig fehlt auch methodische Unterstützung und Übung, was natürlich dazu führt, dass es wirklich lange dauert und oft zäh ist, Schritte erscheinen unnötig oder bürokratisch. Es kommt immer noch vor, dass die Risikobewertung erst in einer späten Phase der Prozessvalidierung durchgeführt wird.

Es wäre aber fatal für das Produkt, am Ende doch nicht alle Risiken berücksichtigt zu haben! Aus dieser Sorge heraus – und natürlich aus alter Routine – wird am Ende häufig parallel zum versucht risikobasierten Validieren doch zusätzlich noch klassisch validiert.

Der Aufwand dafür ist oft beachtlich!

Wirtschaftliche Vorteile

Risikobasierte Validierung funktioniert, wenn abteilungsübergreifend zusammengearbeitet wird, um vor der Validierung systematisch Risiken festzustellen und durch schlaue Vorbeugungsmaßnahmen oder gezielte Statistik auszuschließen. Und nur dadurch sind erhebliche wirtschaftliche Vorteile erschließbar:

Wer die Richtlinien nutzt, kann viel zusätzliche Schlagkraft gewinnen:

  • Gut verstandene Prozesse führen zu weniger Abweichungen
  • Weniger Abweichungen bedeuten weniger (unproduktiven) Bearbeitungsaufwand in allen Bereichen und weniger Verzögerungen bei der Produktauslieferung
  • Wer den Prozess und die Prozessrisiken versteht, kann systematisch Kontrollen reduzieren, was den Aufwand reduziert
  • Die Validierung geht zügiger, da nur validiert wird, was auch validiert werden muss

Und fast das Beste daran: Unternehmen, die bei der Validierung effektiv zusammenarbeiten, arbeiten auch später bei der Abwicklung und Problemlösung gut zusammen, da Prozessüberblick und Zusammenarbeit selbstverständlich werden.

Systematisch schnell mit verstandenen Methoden

Methoden machen den Erfolg wiederholbar und führen zu systematischer Verbesserung, wenn die Methodik verstanden und mit verbessert wird. Klug angepasst, helfen gut verstandene Methoden so

  • bei der Veränderung von eingefahrenem Verhalten
  • den Aufwand bei komplexen Vorgehensweisen zu reduzieren – das Rad nicht jedes Mal neu erfinden
  • sich systematisch auf dem neuen Terrain zu bewegen

Nutzen einiger einfacher Techniken und Tools, die sogar von regulierenden Behörden explizit empfohlen werden

Explizit sollen zum Beispiel folgende einfache Tools/Methoden zur Moderation und Visualisierung von Prozessen und Risiken herangezogen werden:

  • Prozess Maps: Zum Mappen der Beschaffungs- und Produktionsprozesse in abteilungsübergreifender Besetzung – mit allen kritischen Anforderungen und Risiken.
    Hinweis: 3 gemeinsame Workshops à 30 Minuten reichen aus, alles Übrige kann von einzelnen Experten erledigt werden.
  • Fischgräten Diagramme / Ishikawa: Für alle sichtbare Darstellung, welche Probleme am Produkt auftreten könnten und welche Ursachen dazu führen könnten
  • Check Sheets: sollten Ergebnis jeder Risikoanalyse sein. Sie übersetzen die Risikoabsicherung für die Fachabteilungen in die Praxis.

Wer solche Methoden in seinem Unternehmen im Kontext Risikobewertung und Risikovermeidung im Rahmen der Prozessvalidierung im Einsatz sieht, hat zumindest erste Anfangsschwierigkeiten der abteilungsübergreifenden Zusammenarbeit überwunden!

Ferner interessant sind verschiedene statistische Methoden, vor allem:

  • Das Feststellen von CQAs (kritische Qualitätsattribute): Die kritischen Grenzen, in denen sich der Prozess bewegen darf, sollten getrieben vom Risiko bzw. von Kundenanforderungen festgelegt werden. Dabei ist es oft sinnvoll, mit Regressionsanalysemodellen zu arbeiten.
  • Control Charts sind für unterschiedliche mögliche Prozessbedingungen das Mittel der Wahl, um festzustellen, wie groß das tatsächliche Risiko ist. Nur auf dieser Basis kann ein Konzept für sinnvolle Probenumfänge abgeleitet werden. Das führt zum nächsten Punkt:
  • Sample Sizes, Stichprobenumfänge/ Menge der Proben hängen davon ab, wie stark ein Prozess streut und wie nah er dabei an die zulässigen Grenzen kommt. Wer damit arbeitet, kann sehr viele Probenzüge und sehr viele Abweichungen in laufenden Prozessen sparen.

Die auf diese Weise anzusetzenden Kontrollen sind häufig erheblich weniger aufwendig als nach dem klassischen Verfahren bzw. mit drei Validierung-Batches. Der Clou liegt darin, schon bei der Prozessentwicklung die Risiken im Auge zu haben.

Fazit

Bei der risikobasierten Validierung helfen Tools und Techniken in Kombination  mit Verständnis und Augenmaß dabei, den Aufwand gering zu halten und sichere Qualität zu erreichen!

Relevante Richtlinien, auf die wir hier Bezug nehmen:

  • EC, GMP, Annex 15: Die Risikobewertung sollte Validierungsumfang und -tiefe bestimmen
  • ASTM Standard E2500 – auf Basis ICH Q8, Q9 und Q10: ermöglicht eine risikobasierte Herangehensweise an die Qualifizierung
  • FDA und EMA fordern seit 10 Jahren, dass risikobasiert validiert wird, und nicht mehr, wie „klassisch“, gegen die Anforderungen.
  • ISO 13485 – Definition der Qualifizierungsphasen
  • ICH Q9, Annex I: Methoden für die Risikoerfassung

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